Dolf Bissinger

Alte Meister/Neue Geister

 

Dr. Anette Naumann zu Dolf Bissinger im Katalog "Alte Meister - Neue Geister"

 

Dolf Bissinger nimmt in seinen zwei- und dreiteiligen Werken Querschnitte von Bildern Vermeers und Menzels zum Ausgangspunkt, und vergrößert diese zu friesartigen Wandbildern, versetzt zum Teil einzelne Elemente und tilgt allzu Zeitabhängiges. Das heißt, er lässt die Protagonisten in ihrer historisch gebundenen Aussage verschwinden und hebt anstelle dessen die Leerstellen hervor: Die Flächen, wo „nur“ Wand, Tapete oder Vorhang gemalt ist, werden zum Ort des eigentlichen bildnerischen Geschehens. Das korrespondiert mit seiner ehemals ungegenständlichen Farbmalerei und ist von ebensolcher Sinnlichkeit in den Farbverläufen. Die jeweilige Bilderzählung der alten Meister wird so zwar nicht wiederholt, aber auch nicht gänzlich negiert – durch das Anbringen von Glasscheiben über einem Segment der Leinwand spiegeln sich sowohl Teile des realen Umraumes als auch die Betrachtenden, so dass auf diesem Wege Elemente der Jetztzeit ins Bild eingehen. Man befindet sich plötzlich selbst an der Stelle der Briefleserin, deren Widerschein im Fenster (bereits bei Vermeer, nur nicht mit wie jetzt geöffneten Augen) auftaucht.

In seinem Objekt „Venus (nach Tizian)“ verfremdet Bissinger das Camera obscura-Prinzip und lässt durch eine Lochblende im Holzkasten seine zeitgenössische plastische Version der Göttin vor einem gespiegelten Abbild der Tizian’schen Venus erscheinen – so wird analog zu seinen neuen Gemälden das reale Objekt zusammen mit der Spiegelung zum Bild.

 

Dolf Bissinger in his two- and three-part pieces takes cross-sections of paintings by Vermeer and Menzel back to their point of departure and enlarges them so that they become frieze-like murals. He partly shifts individual elements and erases those  which depends too much on its historical context. In other words, he makes the protagonists disappear in their historically bound statement and accentuates instead the blank spaces. Thus, the areas „only“ painted as wall, tapestry or curtain, are made into sites of the actual visual event. This corresponds with his earlier abstract colour paintings and shares their sensuality in the coloration. In this way, the pictorial narrations of the old masters are neither repeated nor entirely negated: glass panes above a segment of the canvas mirror parts of the real surroundings (3) including us, the observers, thus revealing elements of the present in the picture. All of a sudden, you find yourself in the position of the „Girl Reading a Letter at an Open Window“, whose reflection appears in the window  (in Vermeer, however, she does not have her eyes wide open). In his object „Venus“ (after Tizian) Bissinger defamilarises the principle of the camera obscura. Through a pinhole aperture in the wooden box he makes his contemporary three-dimensional version of the goddess appear in a mirrored likeness of Tizian’s Venus. By this method, the real object and its mirror image constitute a picture in analogy to Bissinger’s new paintings.

Dr. Anette Naumann, Februar 2012, ( Übersetzung Jens Ulrich Davids)

Einzelausstellung "Verbergen" in Hamburg 2007, Einführung

 

Dr. Detlef Roth

Eröffnungsrede zur Ausstellung „Verbergen” von Dolf Bissinger

Hamburg, KulturForum Altona, 18.4.2007

1. Verbergen

Dolf Bissinger nennt seine Ausstellung „Verbergen”. Wer etwas zu verbergen hat, der zeigt weder das zu Verbergende, noch dass er etwas zu verbergen hat. Vielleicht macht er ein unschuldiges Gesicht um damit zu verbergen, dass er etwas angestellt hat. Und wie beim Kind, das sich die Augen zuhält, um nicht gesehen zu werden, kann man oft sehr schnell erkennen, dass es hier etwas zu entdecken gibt. Weltberühmt ist der „verborgene Schatz”. Nach ihm wird überall gesucht. Wenn er gefunden ist, könnten die Menschen aufhören zu suchen, aber gleich berichtet jemand vom neuen verborgenen Schatz.

Dolf Bissinger beteiligt sich auf ungewöhnliche Art und Weise an der Schatzsuche. Er behauptet, es gäbe keinen Schatz. Dennoch wäre er – Bissinger – in der Lage, ihn zu verbergen. Die Kunst selbst sei der Schatz. So ist es nur konsequent, dass Bissinger das nicht Sichtbare erkundet. Er arbeitet mit Collagen, Zeichnungen und Malerei. Durch übermalen, überdecken und überlagern wird das Sichtbare verborgen. So wird bei Bissinger „das Verbergende” selbst dominant.

Dolf Bissinger gibt uns Einsicht in seine Strategien des Verbergens. Diese Einsichten erweitern selbstverständlich unsere Fähigkeiten bei der Suche nach dem verborgenen Schatz.

2. Leise Farbe, laute Farbe.

Ich kannte Dolf Bissinger bisher als einen Maler, der sich vornehmlich über Farbe künstlerisch ausdrückte. Bissinger malte vorwiegend in einer gegenstandslosen Welt. Er komponierte Farbfelder aus lasierten Farbschichten und ihren unzählig angrenzenden Farbmöglichkeiten. Nun sind die Farben extrem reduziert, ein allerzartestes Blau, viel Grau, Schwarz-Weiss. Bereits das vergilbte Gelb der Karteikarten darf als Farbe bestehen. Wo ist die Farbigkeit geblieben? frage ich Bissinger. „Ich nehme viel Farbe heraus. Anlass meiner künstlerischen Frage ist nicht mehr die Farbe als Farbe. Ich verlasse das selbstreferentielle Konzept, die kunstimmanenten Begründungen.” Das Verbergen war schon bisher ein Thema in Dolf Bissingers Arbeit, allerdings als methodische Frage – jede Farbschicht verdeckte die vorherige. Ein Prozess des Durchscheinens und Verdeckens. Nun aber ist das Verbergen selbst sein malerischer Gegenstand geworden, also auch das Nichtsichtbare. Der Nebel ist für ihn eine Metapher für die Verschleierung des Sichtbaren. Er macht blass und milchig. So erzählt Dolf Bissinger vornehmlich im gedämpften, im reduzierten Farbraum, er verdeckt, er verdeckt, er verdeckt – vielleicht sogar die Farbigkeit zugunsten seines Themas.

Gerade wenn die Farbe nur noch leise auftritt statt laut aufzutrumpfen, will das menschliche Auge ganz gierig den Schatz ihrer Wirklichkeit heben, will die Farbe mit Haut und Haar verstehen.

3. Wenn das die Bremer Kunsthalle wüsste!

Die Kunsthalle Bremen hat einen alten Bestandskatalog in Kartenform rausgeschmissen. Wahrscheinlich wurde der Katalog längst digitalisiert. Die Katalogkarten sind ca. 12 x 24 cm groß, sie sind vergilbt, stammen aus römischer Herstellung und sind an der Seite groß gelocht.

Ein ideales Material für die Collagen von Dolf Bissinger aus den Jahren. Bissinger kombiniert diese Karteikarten mit eigenen Zeichnungen zu Collagen. Seine Monotypien und die Zeichnungen wachsen mit den Karteikarten zu neuem Sinn als geschlossene Blätter zusammen. Er bemalt sie mit Kreiden und Pigmenten. Die Karteikarten sind wie geschaffen für das Verbergen, sie verdecken die Zeichnungen oder lassen nur Fragmente sichtbar. Die Karteikarte der „Federzeichnung des Lucas van Leijden” verdeckt den träumenden Akt und wird auch noch ausge-xt, weil sie nicht mehr im Bestand ist. Der „weibliche Halbakt” auf der Katalogkarte taucht darunter als Zeichnung auf, wird aber sogleich verborgen mit einem weisslichem Strukturfeld und zwingt uns nebendran zu schauen, obwohl es nicht gelingt. Eine andere Variante sind die „2 Norddeutschen Landschaften”, da verbirgt eine schwarze Fläche, und verbindet in diesem Falle doch den liegenden Akt mit der Küstenlandschaft des Johann Asmus Carstens. – Was würde wohl die Kunsthalle dazu sagen?

Dolf Bissinger arbeitet gern auf Vorhandenem, sein Metier ist die Umwandlung, die Verwandlung zu neuem Sinn.

4. Berufe kleben an den Menschen

2 Berufe markieren das Leben des Dolf Bissinger. Die Architektur und die Kunst. Ca. 20 Jahre in der Architektur und Stadtplanung und anschließend ca. 20 Jahre in der Bildenden Kunst. Den freischaffenden Künstler hat die Architektur immer begleitet, ob etwa durch das Fotografieren von Schinkel-Architektur, oder durch Benutzen von Plänen und Bauzeichnungen für die künstlerische Arbeit. Ein Beispiel seiner Architektenvergangenheit zeigt uns Dolf Bissinger mit der „Arbeiter – Colonie”. Ein Eisenbahningenieur, Herr Meißner aus Wien hat um 1890 Arbeitersiedlungen kartiert. So ein Blatt hat Bissinger zu einem Teilstück zerschnitten, er hat es mit einem großen grauen Feld größtenteils verdeckt, so dass lediglich Umrissteile der Siedlung und Gebäudefragmente sichtbar bleiben. Was dachten die damaligen Architekten und die Bauherren der allmächtigen Industrialisierung? Welche Bedingungen und Muster würden die alten Grundrisse zeigen? Es bleibt uns verborgen. Und so erzählt die abdeckende Graustruktur das Grau der Geschichte, welche sich über die Fragestellungen des 19. Jahrhunderts gelegt hat.

Immer wieder gibt es Grundelemente in den Bildern von Dolf Bissinger, die aus Architekturgedanken stammen: konstruktive Rahmenteile, Fensterteile, Bögen oder Fassadenelemente. So ist das, der Beruf klebt am Menschen.

5. Mit Streifen verdecken

Dolf Bissinger hat immer wieder Streifen in seine Arbeiten integriert. Er zerschneidet sie, beschichtet sie und setzt sie neu zusammen. Aber das war noch zu Zeiten der Farbmalerei, in der auch Streifen zu Farbflächen werden konnten. Nun aber benutzt Dolf Bissinger die Streifen anders. Sie werden zur Variante des Verdeckens, des Verbergens. Schauen Sie das große Triptychon an. Die weißen Streifen im linken und rechten Teil, sie lassen gerade noch erahnen, dass darunter etwas liegt. Es zeigt eine Schlafende, die Sie wahrscheinlich auf den ersten Anhieb gar nicht erkennen. Zumal der mittlere Teil des Triptychons so tut, als sei er an ganz anderer Stelle entstanden, als Teil einer Wand vielleicht, mit den Spuren des Malerateliers. Die drei Teile sind vertauschbar, die Streifenstruktur lässt das zu, es liest sich auch dann als ein ineinander gehendes Bild. Warum kann man mit weiß so gut verdecken, und warum fällt das Darunter liegende so auf, mehr als würde es allein stehen. Dolf Bissinger will, dass die Motive beim Betrachten entstehen dürfen, dass ihre Verborgenheit nicht daran hindert, sie zu suchen.

Die linken, weißen Streifen durchzieht eine ornamentale Struktur und das bringt uns zum nächsten Punkt: die Gardine.

6. Die Gardine

Die unfeinste Art des Verbergens ist die Gardine. Hinter ihr stehen die Nachbarn und glauben, nicht bemerkt zu werden.

Gleich drei – jeweils zweiteilige Arbeiten – widmen sich der Gardine. Eine Wand, ein geöffnetes Fenster, eine Gardine. Und diese ist ornamental verziert, sie ist durchsichtig und bietet doch Blickschutz, weil sie zwar Licht durchlässt und Ausblick nach draußen, aber Einsicht nach innen behindert. Die Stores von Dolf Bissinger verbergen mehr als sie Ausblick gewähren. Im Hellen draußen erkennen wir nichts Deutliches und drinnen verschwimmt die Welt im Ornament.

Was gäbe es nicht alles zu sagen über das Ornament, seine Ablehnung als Verbrechen durch den Architekten Adolf Loos, bis zur "Entstuckung" von wilhelminischen Fassaden für die reine Form und nicht den angeblichen Kitsch, der nur verschönert. Transparente Stores gehören auch in diese moderne Unkategorie. Zumal mit Ornament verziert, gehören sie zum Inbegriff des kitschigen Verschönerns. Wer kann sich große moderne Glasflächen mit Gardinen vorstellen. Ausgerechnet der ehemalige Architekt Dolf Bissinger malt Gardinen, aber die Bleichheit seiner Gardinenbilder lässt uns schaudern. Was verbirgt sich bloß auf beiden Seiten der Gardine?

Das Ornament erfährt ein neues, ein nicht so belastetes Leben bei Dolf Bissinger. Es taucht überall auf, mal mehr pflanzlich organisch, mal mehr streng – und immer doch als Vehikel des Verbergens.

7. Wabisabi

Wir kommen zum Kerngedanken der künstlerischen Auffassung des Malers Dolf Bissinger.

Für Dolf Bissinger stand bereits in seinen früheren Arbeiten die Zeit im Zentrum, ihre unendliche Addition als Gestaltungsprinzip. Was sich Schicht um Schicht verwirklichte, das registrierte die winzigen wichtigen Veränderungsprozesse, die sich in Schlichtheit und unscheinbarer Fülle verbergen. Die Gelassenheit des Zen, die asiatische Philosophie lässt Dolf Bissinger an Schönheiten des Alterungsprozesses glauben, bei dem die Zeit, die Patina und ihre Spuren zu den wertvollsten Ressourcen werden.

„Ursprünglich bedeutet „Wabi”: sich elend, einsam und verloren fühlen. Dies wandelte sich zur Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen. Aber erst in der Verbindung mit „Sabi": alt sein, Patina zeigen, über Reife verfügen, entstand die eigentlich nicht übersetzbare Begriffseinheit, die den Maßstab der japanischen Kunstbewertung bildet. Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes. Der bemooste Fels, das grasbewachsene Strohdach, die knorrige Kiefer, der leicht berostete Teekessel, das und ähnliches sind die Symbole dieses Schönheitsideals. Es geht um die Hoheit, die sich in der Hülle des Unscheinbaren verbirgt, die herbe Schlichtheit, die dem Verstehenden doch alle Reize des Schönen offenbaren." (Gundert)

Wenn Dolf Bissinger seine Ausstellung „Verbergen” nennt, so wissen wir jetzt, dass er dahinter den verborgenen Schatz bereits gefunden hat.

Dr. Detlef Roth

Text (aus „Untitled", Kunstfrühling Bremen 1998)

Dolf Bissingers Bilder sind als Kraftfelder zu sehen, die das Licht und den Raum zu binden vermögen. Mit Hilfe des Lichtes und einer Koloristik, die man als eine Vielfarbigkeit in der Einfarbigkeit beschreiben könnte, wird die Oberfläche zu einem Vibrationsfeld in Richtung der Betrachterinnen und Betrachter. Alle Werke sind aus den gesetzlichen Momenten einer konstuktiven Planung und einer offenen, informellen Bildstuktur angelegt. Bissinger verläßt sich bei seinem Bildaufbau ganz auf die Malerei und die Strukturierung durch das Material. Seine Bilder wirken gleichzeitig transparent und pastos, bewegt und beruhigt. Ihm geht es weniger um suggestive Farbräume noch um eine reine Monochromie. Viele Arbeiten auf Papier zeigen breite Ränder, die noch bildnerische Spuren einer anderen Verwendung des Materials erkennen lassen. Gerade sie verweisen darauf, daß der Künstler einen sehr souveränen Umgang mit der Tradition einer „rigorosen Malerei" wie sie zum Beispiel von dem Amerikaner Ad Reinhard vertreten wurde, gefunden hat.
Bissingers künstlerische Position entwickelte sich in vollem Gegensatz zur Malerei der 80er Jahre, die weltweit auf Expressivität und Figürlichkeit setzte. Die Kunst wird bei ihm zu einem geistigen und auratischen Ereignis.

Prof. Dr. Hans Joachim Manske

Leuchtkraft, Brechung, Substanz

Das malerische Werk von Dolf Bissinger kennzeichnet eine beeindruckende Kohärenz und Konsequenz. Mit Beharrlichkeit und ohne Hast bewegt er sich organisch von Thema zu Thema und von Motiv zu Motiv und schafft dabei dichte, intensive Bilder. Die Farbe steht im Zentrum seines Interesses: Ihre Leuchtkraft, ihre Brechung, ihre Substanz, ihre Wirkung.
Die Befreiung der Farbe von der Gegenständlichkeit seit dem frühen 20. Jahrhundert hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ein vielfältiges Spektrum künstlerischer Formulierungen hervorgebracht, das nachfolgende Generationen auf der Suche nach der eigenen Position innerhalb dieses Ausdrucksfeldes weiterhin beschäftigt. Abstrakter Expressionismus, Farbfeldmalerei, geometrische Richtungen und minimalistische Tendenzen spielen bei der Auseinandersetzung Bissingers mit dem eigenen Standpunkt eine Rolle. Das Verhältnis zwischen Form, Struktur und Farbe bestimmt seine Kompositionen, wobei Licht und Transparenz eine wichtige Rolle spielen. Seine Bilder bestehen manchmal aus kleinteiligen, dicht nebeneinander gesetzten Pinselstrichen, manchmal aus flächigen breiten Farbflächen. Immer aber ist der Duktus des Auftrags sichtbar und in seinem Rhytmus und seiner Geschwindigkeit nachvollziebar, was den Bildern eine ausgesprochene Vitalität verleiht.

Dr. Katerina Vatsella, 2001

Wieviel Zeit hat der Mensch? wieviel Zeit nimmt sich der Mensch?

Unsere Lebenswelt überschlägt sich an Geschwindigkeit. Kein Halt ist in Sicht, ja die Beschleunigung nimmt zu. Die Informationsgesellschaft überfüttert sich mit Meinungen, Meldungen und grellen Bildern. Auffallen, Signalwirkung, direkte Message. Gibt es dazu eine Gegenwelt?
Dolf Bissinger nimmt sich Zeit. Schicht um Schicht, 50 Mal, 100 Mal. mit dünnem Farbauftrag. Jede Schicht ist geronnene Zeit, Zeit , die verpackt ist, nicht sichtbar, oder doch an den Rändern, oder doch als Teil der Gasamtschicht. Eine „rigorose" Art und Weise der Malerei. eine Einzelaktion gibt es nicht, kein Bild, ob Groß- oder Kleinformat, hat ein Zentrum. Wir können immer wieder Details anschauen, aber sie nicht isolieren. Das Bild fordert eine Suche jenseits der Abbildungen. Man muß durch das Bild hindurchschauen.
Und so merken wir, daß Dolf Bissinger keine Bilder malt. Er wählt Strategien, er wählt eine Bearbeitungsmethode; Farbe schichten, auftragen, abtragen, kratzen , spachteln und nocheinmal und nocheinmal und nochmal. So entsteht eine Arbeit, die in sich den Alterungsprozeß enthält. Zwischen jeder Schicht herrschte eine Zeitspanne, in der ein Bild sich zeigte, das der Künstler nicht als fertig gelten ließ. Wie lange durfte jene Schicht die oberste sein und Bild spielen, ehe sie verschwand? Und wieviele Bilder sind ein Bild?
Der Versuch die Zeit festzuhalten, muß scheitern. Die gewählte Strategie endet da, wo sie nicht mehr weiterführt, der Künstler also „aufhören" muß. Dann ist die Arbeit fertig, zzu einem Bild geworden. Die Zeit ist weitergelaufen. Dolf Bissinger gelingt es, daß wir als Betrachter die Zeit wahrnehmen, sie mit den Augen nachverfolgen, daß unser Blick langsam und vertiefend wird.
Wieviel Zeit hat der Mensch? Wieviel Zeit nimmt sich der Mensch? Dolf Bissinger hält die Zeit fest. Er selber ist weit über 50 Jahre alt, kein junger Künstler, ein Künstler mit Umwegen. Umwege über die Architektur und die Stadtplanung. Eine Zeit, die sich in sein Leben eingeschrieben hat. Nun ist sie das geworden, was vielleicht zehn, vielleicht 50, vielleicht 100 seiner Schichten auf den Bildern sind.

 


Dr. Detlef Roth, 1995