Ein Projekt zur Eröffnung der Kulturkirche in Bremen 2007
von Bissinger, Bommert, Stridde ( Musik Ingo Ahmels )
Das handelnde Kunstwerk
Dolf Bissinger, Henri Stridde, Jens Bommert haben in der Stephani-Kirche, direkt unter der Vierung, eine hundert Tonnen schwere Pyramide aus Sand errichtet. Die Spitze der Pyramide zeigt unmittelbar auf den Scheitelpunkt der Vierung.
Das Konzept ist auf den ersten Blick ein ungewöhnlicher Eingriff in einen christlichen Raum. Die Provokation löst jedoch sofort Assoziationen aus, die religionsübergreifende Aspekte beinhalten. Die Vierung ist in der kreuzförmigen christlichen Kirche ein zentraler, klassischer Ort des Gebetes. Um ihn herum wurden bis ins 18. Jahrhundert Bischöfe, Kleriker und wichtige, der Kirche nahe stehende Bürger begraben.
Die Pyramide wurde über dem Grab des Pharaos errichtet. Nach der ägyptischen Vorstellung konnte er von seinem Grab aus – „als Lebender“ – sich an die Spitze der Pyramide begeben und damit den Sternen und den Göttern besonders nah sein.
Vierung und Pyramide sind Räume der Transformation. Konsequent haben die Künstler sie ausgewählt, um ihre Metamorphosen zu realisieren. In einem ersten Schritt animierten sie Kinder, versteckte Münzen in der Pyramide zu suchen; eine solche Schatzräuberei in Pyramiden war auch im alten Ägypten die Regel. In einem weiteren Schritt wurde der amorphe Sandhaufen in ein meditatives Feld verwandelt. Spender und Sponsoren verschleuderten am Ende ihr Geld in dieses Sandfeld und reaktivierten damit den Prozess. Aus den einzelnen Handlungsphasen entstand ein Kreislauf, der potenziell immer wieder neu beginnen könnte. Die Musik von Ingo Ahmels verbreitete sich über das gewellte Feld und erfasste von hier aus den gesamten Kirchenraum.
Das Projekt „Pyramide" steht in der Tradition des Gesamtkunstwerks. Das Bildnerische, die Metamorphose und die Musik durchdrangen sich. Eindringlich wurden unterschiedlich religiöse und pseudoreligiöse Ideologien und Vorstellungen verzahnt. Die ägyptischen und christlichen Jenseitsvorstellungen, das zen-buddhistische Nirvana und die oft zerstörenden kapitalistischen Bewegungsgesetze bildeten zusammen eine Einheit und behaupteten gleichzeitig ihre Bedeutungshoheiten. Eine „unio mystica“ oder synkretistische Ziele wurden nicht angestrebt. Die Formen verändernten und bewegten sich und bildeten unterschiedliche skulpturale Formen. Der Kirchenraum, der nur noch zeitweilig für den Gottesdienst genutzt wird, gewann auf diese Weise eine neue, temporäre kultische Funktion. Die besondere künstlerische Leistung bestand vor allem darin, dass hier nicht ein Kunstwerk isoliert in den Raum gestellt wurde. Im Gegenteil, in allen unterschiedlichen Phasen wirkte es so selbstverständlich wie früher ein Retabel auf dem Altar.