Alte Meister/Neue Geister, Bremen und Berlin 2012
Sieben Bremer Künstlerinnen und Künstler haben sich zusammengetan, um etwas von den Erfahrungen der Alten Meister für die Jetztzeit fruchtbar zu machen. Nachahmung im Sinne bloßen Kopierens oder Zitierens kam für sie nicht in Frage – es ging eher um die Suche nach dem Transfer bestimmter Qualitäten in die Gegenwart. Sie bedienen sich unterschiedlicher Verfahren: Verkleinerte oder vergrößerte Ausschnitte von Gemälden entwickeln sich zu neuen Bildwerken, vordem Wichtiges wird weggelassen und Unscheinbares betont, ins kollektive Bildgedächtnis eingegrabene Figuren werden auf ihre linearen Grundgesten reduziert, alte Themen gegenwärtig gemacht und die Zeiterfahrung im Bild gespeichert.
Dolf Bissinger hat sich mit Vermeer und Tizian befasst.
Werner Henkel mit Phillip Otto Runge und Dürer.
Anette Venzlaff mit prominenten Werken von u.a. Breughel, Fabrizius und Böcklin.
Rosa Jaisli vor allem mit der alten Portriatkunst
Tilman Rothermel mit dem Abstrakten bei Callot und Rembrandt
Gotthard Kuppel mit dem Faltenwurf im Barock
Barbara Rosengarth mit der Geschwindigkeit bei Turner
Die alten Meister haben in ihrer Zeit sowohl auf die damalige Tradition ihrer Vorgänger, als auch ihre sich verändernde Lebenswirklichkeit reagiert. Die neuen Geister heute haben nicht nur die figürliche Malerei vieler Jahrhunderte im Gepäck ihres Gedächtnisses, sondern mittlerweile auch die umfangreiche Tradition ungegenständlicher Kunst der Moderne. In ihren Arbeiten machen die sieben Künstlerinnen und Künstler einen Brückenschlag zwischen diesen beiden Hauptrichtungen der bildnerischen Exploration – den Betrachtenden wird dadurch sowohl die Geschichte, als auch unsere heutige Lebenswelt lebendig vergegenwärtigt.
Dr. Anette Naumann
10.02. bis 01.03.2012 im Atelierhaus Friesenstrasse in Bremen und
24.08.2012 bis 08.09.2012 bei scotty enterprises in Berlin. Eröffnung Fr. 24.08. 19.00h
Katalog, ISBN 978-3-00-037220-9
Neue Arbeiten, Galerie Lattemann, Trautheim bei Darmstadt
Rezension zur Ausstellung aus dem Darmstädter Echo am 13.11.2010
"So ist es mit dem Minimalismus in der Malerei: Am Ende steht das weiße oder schwarze Bild. Damit aber ist mein Erkenntnisinteresse erloschen." Dolf Bissinger unterbricht den Aufbau seiner Ausstellung, um die Verblüffung des Betrachters etwas abzupuffern. Der nämlich hat von den vergangenen Auftritten des in Österreich geborenen, seit langem aber in Bremen lebenden Künstlers ganz anderes im Kopf: Ungegenständliche Bilder, die man monochrom nennen würde, entpuppten sie sich nicht beim näheren Herantreten als aufgebaut aus vielen unterschiedlichen Schichten, Acryllasuren, Kreide und Wachs.
Ziemlich wenig? Das ändert sich.
Nun plötzlich der Wechsel zum wiedererkennbaren Motiv. Interieurs, öfter jedoch nur Ausschnitte davon, beschränkt auf ein Fenster, einen Vorhang, einen Spiegel, ein Stück nackte Wand, dass sich über mehrere Stationen zum Diptychon, zum Triptychon, ja zum Quadriptychon entwickelt und dabei den Farbton wechselt. Ziemlich wenig? Das ändert sich, je länger man sich auf die Bilder einlässt. Plötzlich wie ein Schock die Erkenntnis: Die Position des Fensters, der Lichteinfall von links oben, die rauschende Üppigkeit, mit welcher der Vorhang Falten wirft - das kennt man doch alles von den intim stillen Innenraumbildern des Holländers Jan Vermeer van Delft aus dem 17. Jahrhundert. Sofort noch ein paar Bestätigungen: ein Fliesenmuster, die geschnitzten Füße eines altmodischen Möbels, die Reflexion einer Frauenfigur im schrägen Fensterglas.
Ansonsten jedoch hat Bissinger das Delftsche Personal vor die Tür geschickt, hat er überhaupt die Raumtotale reduziert auf Zitate und Stimmungen. Letztere verdanken sich primär der Farbe und dem Licht, was nie Buntheit und grelle Wirkung meint, sondern stets zart Verwobenes, geduldig aus dünnen Lasuren Gesponnenes. An diesem Punkt ahnt der Betrachter, dass die Kontinuitäten im Schaffen dieses Künstlers stärker sind als auf den ersten Blick gedacht. Was da an Veränderung ist, hat sich gleichsam eingeschlichen über die letzten zwei, drei Jahre.
Dolf Bissinger, der mal Architekt und Stadtplaner war, vertritt seine Sache sehr klar, sehr reflektiert. Für das, was ihm vorschwebt, zieht er einen Vergleich aus dem Musikbetrieb heran: "die zeitgemäße Aufführung alter Meister".
Nun ist es nicht so, dass er ohne deren Vorbild arbeitslos bleiben müsste. Auf einer Reihe kleinformatiger Porträts von Persönlichkeiten aus dem Kulturleben sowie auf stark zeichnerisch bestimmten Interieurs verfolgt er die Dialektik von Figur und Schemen, Intaktheit und Teilung, Davor und Dahinter, Leere und Ornament, Aufscheinen und Verschwinden.
Doch die imposantesten Werke seiner Ausstellung sind zweifellos die, in denen Kunsthistorie nachhallt. Neben Vermeer dient ihm auch Menzel als Inspirationsquelle. Wie zu erwarten, ist von den beiden kaffeetrinkenden Damen aus dessen Original nichts mehr zu sehen auf "Mit rotem Vorhang". Links überzieht ein kalligraphisch-kristallines Liniengewirr, unterbrochen von granatroten Fleckchen, die dunkle Fläche, als habe man es mit einem abstrakten Gemälde von Mark Tobey zu tun. Es folgt, als schmaler Streifen, der titelgebende Vorhang.
Der letzte Teil des Triptychons wartet auf mit einer Überraschung: Vor homogen rostrot angelegter Fläche ist, deckungsgleich, eine Glasscheibe fixiert, darin der Betrachter sich selber sieht. Kein äußerlicher Gag, unterstreicht sie bloß, wie wortwörtlich Bissinger das Aufladen der Altmeister mit Zeitgenössischem nimmt.
Dr. Roland Held
Spiegeln
Aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung „Spiegeln“ von Dolf Bissinger am 5.September 2010 im Psychoanalytischen Institut in Bremen
Nach langer Beschäftigung mit der Monochromie und dem Farbfeld hat der Maler Dolf Bissinger sich zunehmend mit dem Narrativen, dem Erzählerischen in der Kunst beschäftigt, und hier mit dem Diffusen und dem Angedeuteten. Alle Elemente dieser Malerei finden wir in dieser Ausstellung wieder. Bissinger greift hier in der Motivwahl seiner großformatigen Arbeiten auf die Vergangenheit zurück, er wählt Vorlagen der Genremalerei von Jan Vermeer aus dem 17. Jahrhundert, sowie von Adolph Menzel Ende des 19.Jahrhunderts.
Beide malten Interieurs – also Einblicke in Innenräume, vielleicht tut sich bereits hier der Vergleich zur Tiefenpsychologie auf. Sie zeigen das was ist, Tapeten mit Rissen, ausgeblichene Vorhänge, sie zeigen Ausschnitte, Details des Unvollkommenen. Und sie sind „leer“. Bissinger nimmt die Protagonisten des Bildes – wie er sagt – heraus, er dekonstruiert gewissermaßen die Szene, in dem er die Menschen und den größten Teil des Zeitgebundenen daraus entfernt. Und er verglast einen Teil der Arbeit mit einer beschichteten Glasplatte. So spiegelt sich der Betrachter und tritt an die Stelle des damaligen Personals. Der Spiegelungseffekt, der vor einem Bild sonst eher als störend empfunden wird, wird hier bewusst eingesetzt. Somit erreicht Bissinger, dass sich Altes und Neues verbindet, die Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit erscheint.
Wir finden in Bissingers Bildern auch Darstellungen von Vorhängen in der Symbolik des Verbergens, von Fenstern, die im Gegensatz dazu für Ausblicke oder Einblicke stehen. Aber wir sehen nur Fragmente, die nie das Ganze zeigen - keine Zimmerdecke - keinen Boden - keinen Anfang und kein Ende – mittendrin. Wir finden Farben und „Nichtfarben“, vor allem aber Farben als Farbe durch Licht. Als Reflexion durch Licht.
Bissinger malt Bilder, die von Reflexionen leben,hervorgehoben durch die Thematik des Spiegelns. Der Spiegel dient der Reflexion. Der Betrachter tritt ins Bild und das Bild in eine innere Beziehung mit dem Betrachter.
Der Spiegel ist in vielfacher Hinsicht ein „zweideutiges Symbol“. In der Gesellschaft steht er für Eitelkeit und Wollust, aber ebenso für Selbsterkenntnis, Klugheit, Wahrheit. Zusammengefasst ist beides in der Befragung des Spiegels durch Schneewittchens böse Stiefmutter. Till Eulenspiegel hält der Gesellschaft den Spiegel vor, sowie es die Rolle des Narren war, die Wahrheit ungeschminkt äußern zu dürfen. Der Spiegel ist ein „Mond-Symbol“, da er wie der Mond etwas reflektiert. Reflektieren ist also die Bedeutung des Spiegels und des Spiegelns. Man sagt in meinem Beruf: ich spiegele dir mal deine Äußerungen, oder die Gruppe spiegelt dein Verhalten. In Ägypten galt der Spiegel als das Abbild der Seele.
Spiegel dient also sowohl der Selbstbetrachtung - ist somit subjektbezogen - als auch der Spiegelung durch andere und ist somit objektbezogen. Guckt man nicht einerseits in den Spiegel, um zu prüfen, wie sehe ich mich, aber ebenso auch: Wie sehen mich die anderen?
Eine aus der griechischen Mythologie bekannte Spiegelgeschichte ist die des Narziss in den „Metamorphosen des Ovid“. Sehr verkürzt, aber nicht weg zu denken… der junge Narziss, unfähig andere lieben zu können, aber dennoch auf der Suche nach dem anderen, entdeckt im Wasser einen wunderschönen Menschen in seinem Spiegelbild, er verliebt sich. Er verliebt sich in seiner Unfähigkeit zur „Objektliebe“ in sich selbst. Offen bleibt in der analytischen Betrachtung der Geschichte, ob er weiß, dass er es selber ist oder ob er sein Ebenbild für einen anderen begehrenswerten Menschen hält… Die Verurteilung des Narziss als selbstverliebter, selbstsüchtiger Mensch greift somit zu kurz… vielmehr stellt er den verzweifelten Einsamen dar, der sich Liebe wünscht – sie aber nicht gestalten kann.
Der Psychoanalytiker Kohut als wesentlicher Begründer der Selbstpsychologie hat mit seiner Beschäftigung mit dem „Narzissmus“ herausgearbeitet, wie sehr die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls und letztlich der Liebesfähigkeit zusammenhängt mit der frühen „Spiegelung“ durch die wesentliche primäre Bezugsperson, die Mutter. Erst die Empathie dieser Bezugsperson, ihr Mitgefühl mit den schnell wechselnden Zuständen des Säuglings, gibt dem Baby die ‚An-erkennung‘ und Würdigung, die das lebenswichtige Selbstwertgefühl sicher im „Selbst“ und dessen Prägung ermöglicht. Ohne diese Spiegelung erfährt sich der Säugling schnell emotional allein gelassen und damit real gefährdet. Ungenügend gespiegelte Säuglinge lernen deshalb - so die Theorie - instinktiv, so zu agieren, dass sie positive und auch negative Bestätigung ihrer selbst bekommen, oder aber selbst zu Spiegeln für ihr Umfeld werden, sogenannte narzisstische Frühschäden können zu späteren Störungen des narzisstischen Selbstgefüges führen und zu einer Entwicklung von neurotischen Störungen.
Der französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan beschrieb das „Spiegelstadium“ des Säuglings: indem der Säugling sich im Spiegelbild erkenne, entwickele sich das „Ich“. Auch er erwähnt einen Doppelaspekt des Spiegelns. Es sei die „Geburt des Ichs“, aber auch der Beginn der Entfremdung, da der Säugling in diesem Zeitraum sich als ein Wesen unterschieden von den anderen, dem Fremden, wahrnähme.
Die lebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten spiegelt sich wieder, so der Analytiker Michael Balint, in seiner Beziehung zum Therapeuten, heute sprechen wir eher von der sogenannten Übertragung auf den Therapeuten und seiner Gegenübertragung. Daraus entwickelte Michael Balint sein Konzept von Supervisionsgruppen und heute sogenannten Balint-Gruppen, in welchen Ärzte und Therapeuten in der Gruppe ihre Interaktion mit dem Patienten von den anderen Gruppenmitgliedern gespiegelt bekommen. Das führt direkt zu den Spiegelneuronen, die 2009 entdeckt wurden, und zu den Neurowissenschaften, die derzeit erforschen, wie Empathie und Einfühlung sich neurobiologisch im Gehirn darstellen und wie die Spiegelneuronen mit den anderen Gehirnarealen vernetzt sind.
Aber nach diesem Exkurs über das Spiegeln in der Psychoanalyse zurück zu Dolf Bissinger und seinen Bildern: Nicht alle Bilder haben Teile aus spiegelndem Glas, aber alle beinhalten sie das Spiegelthema in den verschiedensten Variationen: die Gegenwart, die Vergangenheit und wir im Spiegel der Kunst.
Dr. Mura Kastendiek
Verbergen
Aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung*
Dolf Bissinger nennt seine Ausstellung „Verbergen”. Wer etwas zu verbergen hat, der zeigt weder das zu Verbergende, noch dass er etwas zu verbergen hat. Vielleicht macht er ein unschuldiges Gesicht um damit zu verbergen, dass er etwas angestellt hat. Und wie beim Kind, das sich die Augen zuhält, um nicht gesehen zu werden, kann man oft sehr schnell erkennen, dass es hier etwas zu entdecken gibt. Weltberühmt ist der „verborgene Schatz”. Nach ihm wird überall gesucht. Wenn er gefunden ist, könnten die Menschen aufhören zu suchen, aber gleich berichtet jemand vom neuen verborgenen Schatz.
Dolf Bissinger beteiligt sich auf ungewöhnliche Art und Weise an der Schatzsuche. Er behauptet, es gäbe keinen Schatz. Dennoch wäre er – Bissinger – in der Lage, ihn zu verbergen. Die Kunst selbst sei der Schatz. So ist es nur konsequent, dass Bissinger das nicht Sichtbare erkundet. Er arbeitet mit Collagen, Zeichnungen und Malerei. Durch übermalen, überdecken und überlagern wird das Sichtbare verborgen. So wird bei Bissinger „das Verbergende” selbst dominant.
Dolf Bissinger gibt uns Einsicht in seine Strategien des Verbergens. Diese Einsichten erweitern selbstverständlich unsere Fähigkeiten bei der Suche nach dem verborgenen Schatz.
Dr. Detlef Roth
*Vollständiger Text siehe unter Texte auf dieser Web - Seite